Da zitiert Mordechai einen der gewaltigsten Verse, die es in der Bibel gibt. Ein Vers, der den ganzen Glauben aufrüttelt und die ganze Wahrheit einem Härtetest unterzieht. Ein Vers, der lehrt, dass es im Leben Augenblicke gibt, bei denen man ernsthafte Erwägungen machen muss und verstehen sollte, welche Wahrheit wir wählen sollten. Ähnliches spielte sich im Holocaust ab, wo gute Menschen Juden retteten und damit ihr eigenes Leben in Gefahr brachten. Demgegenüber gab es aber auch Menschen, die lieber wegschauten. Jene, die den jüdischen Mitbürgern halfen, nennt man bis heute „Gerechte der Völker” und ihre Namen sind in der Geschichte des Volkes Israel eingeflochten.
Mordechai sagte: „Denn wenn du jetzt schweigst, so wird von einer anderen Seite her Befreiung und Rettung für die Juden kommen.” (Esther 4,14)
Dies ist für jeden von uns für immer ein aktueller und relevanter Vers.
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Esther 4,15-17 beschreibt die große Wandlung der Esther. Aus einer hübschen, gehorsamen Barbie-Puppe wird eine Königin, die Befehle erteilt. Sie erbittet sich eine Auszeit, um nachzudenken und zu planen – dies ist eine große Änderung in ihrem Charakter. Ihr Onkel Mordechai hört auf sie – für die damalige Zeit ganz außergewöhnlich.
Königin Esther sieht sich nun zwei Feinden gegenüber: einerseits Ahasveros und andererseits Haman, der engste Berater des Königs, ohne dessen Ratschlag Ahasveros keinen Schritt tut. Esther weiß, dass die Chance, dass der König sie als Gemahlin dem Haman vorzieht, wenn sie um ihr eigenes Leben und das ihres Volkes fleht, gegen Null geht. Es gibt nur einen Haman, hübsche Frauen aber hat er jede Menge. Um die beiden Männer zu überlisten, muss sie in ihrem Aufgabenbereich verbleiben, als die puppenhafte, immerfort lächelnde und sich anbiedernde Königin.
Esther muss den wunden Punkt eines jeden der beiden Männer finden. Bei ihrem Gatten ist das nicht schwer. Er beherrscht zwar ein Großreich, handelt aber nicht selbständig. Jedes Problem, und sei es noch so klein, überlässt er seinen Ratgebern. Wenn man von ihm die Schichten der Wichtigkeittuerei entfernt, stellt sich heraus, dass er eigentlich auch nur eine Marionette ist. Dem König ist seine Männlichkeit das Wichtigste. Das war auch der Grund, warum er wegen der Verweigerung der Vasti so tobte. Der König herrscht über Frauen, aber da hört dann seine Größe auch schon auf. Haman hingegen ist schlau und süchtig nach Ehre. Alle müssen sich vor ihm verbeugen. Esther ist klug, sie kennt die Schwachpunkte der beiden.
Am Ende des dritten Fastentages zieht Esther zum schwersten Kampf ihres Lebens hinaus. Der Eindruck, den ihre Gewänder und ihre Schönheit auf den König machen, lassen ihn das Zepter in ihre Richtung ausstrecken. Er versteht, dass sie ihm etwas zu sagen hat, und er sagt ihr: „Was hast du, Königin Ester? Was ist dein Wunsch? Auch wenn es die Hälfte meines Reiches kosten würde, soll er dir erfüllt werden!“ (Esther 5,3)
Esther lädt ihn und Haman zu einem Gelage. Ahasveros kann kaum erwarten, Esthers Anliegen zu erfahren. Er verspricht ihr das halbe Königreich, aber sie lenkt ab und spricht eine neue Einladung für den folgenden Tag aus. Haman ist mit dieser persönlichen Einladung hochgeehrt, der König hingegen muss eifersüchtig auf seinen Ratgeber werden. Eifersucht ist eines der stärksten Gefühle (Hoheslied 8,6). Esther trifft die wunden Punkte, siehe Kapitel 5,10‑13 und 6,1.
Haman begreift nicht, dass die Einladung und dann der Cocktailabend mit der Königin den Ahasveros eifersüchtig machen. Dies ist geradezu ein Geniestreich der Esther. Als der König beim zweiten Cocktailabend von Eifersucht vergeht, enthüllt Esther, dass Haman plant, sie und ihr Volk zu vernichten. Ahasveros verlässt sprachlos den Raum. Haman bettelt bei Esther um sein Leben. Er fleht so innig vor ihrem Lager, dass der wieder hinzutretende König meint, ihn sozusagen in flagranti zu ertappen. Das Schicksal des Bösewichts ist besiegelt. Der 14. Tag des Monats Adar, der Tag, an dem das jüdische Volk vernichtet werden sollte, wandelt sich zum Freudentag.
Seither feiern wir Purim.